Kodex der PR-Branche achtet die Informationsfreiheit

Warum man vor der Informationsfreiheit den Hut ziehen muss. Und weshalb Zensur scheitert.

Die Tendenz, missliebe Informationen zu unterdrücken oder zu delegitimieren, hat sich in der Coronakrise verstärkt. Wie ist die Entwicklung aus Sicht der Public Relations einzuordnen?

PR-Kodex achtet die Informationsfreiheit
Die Informationsfreiheit spielt in den Ethik-Standards der PR-Berufsorganisationen eine wichtige Rolle. Als die PR-Branche sich einen Kodex gab, stellte sie das freie Wort an die erste Stelle: Der Kodex von Lissabon beginnt mit dem Bekenntnis, das PR-Fachleute die Freiheit der Meinungsäusserung, die Unabhängigkeit der Medien und das Recht des Individuums auf Informationen respektieren. Dieses Bekenntnis ist aus mehreren Gründen wichtig:

1. Informationsfreiheit ist ein Grundrecht
Die Informationsfreiheit gehört zu den Grundrechten. Die Schweizer Bundesverfassung hält die Informationsfreiheit in den Artikeln 16 und 17 fest: «Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten . . . Zensur ist verboten.»

2. Informationsfreiheit reduziert die Gefahr der Willkür
Der Zweck von Grundrechten besteht darin, dass sie eigentlich durch kein «höheres Ziel» aufgehoben werden dürfen. Der Nutzen: Unveräusserliche Grundrechte reduzieren die Gefahr politischer und juristischer Willkür, weil die Verfassung über der Regierung steht. Dieses Prinzip nennt sich «Lex Rex» – das Gesetz ist König. Im umgekehrten Fall – wenn das Prinzip «Rex Lex» gilt (der König ist das Gesetz) –, kann eine Regierung Grundrechte zuteilen und ausser Kraft setzen, wie es ihr beliebt, sie kann zum Beispiel im Verbund mit der Vorzensur in wichtigen Medienhäusern die Opposition totschweigen. Allerdings ist es nicht damit getan, dass die Informationsfreiheit in der Verfassung verankert ist. Freiheit ist erst Freiheit, wenn man sie nutzt. George Orwell sagte: «Wenn die öffentliche Meinung träge ist, werden unbequeme Minderheiten verfolgt, auch wenn es Gesetze zu ihrem Schutz gibt.»

3. Informationsfreiheit schützt «höhere» Ziele
Auf einen anderen Zusammenhang zwischen «höheren Zielen» und Grundrechten weist Michael Esfeld hin, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne: «Wenn man Wert X über Menschenwürde und Grundrechte stellt, dann zerstört man nicht nur diese, sondern erzielt im Endeffekt auch ein schlechtes Resultat in Bezug auf X.» Esfeld erläutert dies am Beispiel der Coronakrise: Weil man das Ziel des Gesundheitsschutzes über die Grundrechte gestellt habe, seien gravierende Negativeffekte für den Gesundheitsschutz eingetreten und die Corona-Massnahmen hätten verheerende Schäden angerichtet.

4. Informationsfreiheit löst Probleme
Die Qualität unserer Entscheide hängt von der Qualität der Entscheidungsgrundlagen ab. Zensur schadet dieser Qualität, weil sie intellektuelle Sperrzonen errichtet, die Diskussion verweigert und damit das Lösen von Problemen behindert. Freie Information hingegen unterstützt das Lösen von Problemen, weil sie Fragen klärt statt sie zu unterdrücken. Experten brauchen das Korrektiv anderer Experten. Denn es ist eine Binsenwahrheit: Man kann auf hohem Niveau danebenliegen. Somit ist Zensur – um mit dem Philosophen John Stuart Mill zu sprechen – eine «Anmassung von Unfehlbarkeit». Oder wie Dwight D. Eisenhower sagte, «eine dumme und oberflächliche Art, die Lösung eines Problems anzugehen.»

5. Informationsfreiheit schafft individuelle Freiheit
Das freie Wort ist Voraussetzung für das Formulieren von Wahrheit – und damit für eine freie Gesellschaft. Jürg Tobler, einstiger Chefredaktor des St. Galler Tagblatts, schrieb: «Ohne Wahrheit – ohne Willen zu ihr – kann es keine Freiheit geben.» Jedes autoritäre Regime weiss das. Benjamin Franklin sagte deshalb. «Wer die Freiheit eines Volkes umstürzen will, muss damit beginnen, die Freiheit der Rede zu unterdrücken.» Wer Meinungen unterdrückt, wird also früher oder später auch Menschen unterdrücken. Dazu Harry S. Truman,  33. Präsidenten der USA: «Wenn sich eine Regierung erst einmal dem Prinzip verschrieben hat, die Stimme der Opposition zum Schweigen zu bringen, gibt es für sie nur einen Weg: den Weg der immer repressiveren Massnahmen, bis sie zu einer Quelle des Terrors für alle Bürger wird und ein Land schafft, in dem alle in Angst leben.» Freie Gesellschaften brauchen keine Zensur. Falls sie Zensur ausüben, sind sie nicht mehr frei.

Falsche Begründung für Zensur
Gerechtfertigt wird die Zensur mit dem Hinweis, man wolle uns vor «Fake News» schützen: vor «irreführenden» und «schädlichen» Informationen. Dieses Argument wird zugunsten der Zensur seit jeher vorgebracht. Die Zensoren bringen sich damit in die Position der «Guten» und «Wissenden». Natürlich kann die freie Rede Schaden anrichten. Dennoch impliziert sie das Recht, sich zu irren. Sonst existiert sie gar nicht. Der US-Journalist Edward R. Murrow, der in den 1950er-Jahren medial gegen US-Senator McCarthy und dessen Hetze gegen (angebliche) Kommunisten vorging, sagte: «Das Recht, anderer Meinung zu sein, oder, wenn Sie wollen, das Recht, Unrecht zu haben, ist grundlegend für die Existenz einer demokratischen Gesellschaft. Es ist das Recht, das in jeder Nation, die in den Totalitarismus gestolpert ist, als erstes verloren ging.» Jene, die unsere freiheitlichen Verfassungen geschrieben haben, waren sich bewusst, dass die freie Rede problematisch sein kann. Aber sie erachteten die Schäden, die dadurch entstehen, als geringer ein, als die Schäden, die durch Zensur entstehen. Überhaupt: Wenn die Zensoren das Gefahrenkriterium ernst nehmen würden, müssten sie sich selber zensieren, denn auch Regierungen, Behörden oder NGOs sagen bekanntlich Dinge, die gefährlich und irreführend sind, wie die Coronakrise leider erneut unter Beweis gestellt hat.

Freiheit nicht missbrauchen
Natürlich hat das freie Wort Grenzen. Die Informationsfreiheit ist letztlich nur so wertvoll wie die Diskussionen und die Berichterstattung, die von dieser Freiheit profitieren. Freiheit ist von Dauer, wenn Sie einhergeht mit Verantwortung. Freiheit ist nicht Libertinage. Es gibt kein Recht, andere zu verleumden. Und Lüge, Beschimpfung, haltlose Rufschädigung oder Drohung haben mit freier Information nichts zu tun. In der Regel geht es aber bei der Zensur nicht darum, respektlose Kommunikation und zerstörerische Einflüsse zu verhindern. Es geht darum, die Deutungshoheit zu erlangen, sie zu behalten und widerstandslos durchzuregieren. Das ist zwar aus Sicht von Entscheidern verständlich, kann aber angesichts der menschlichen Unvollkommenheit nur scheitern.

Foto: Beat Hühnli
Tan Chen, «Belle Epoque»

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