Indiskretionen – eine Bewertung

Aus Sicht der PR-Ethik sind Indiskretionen grundsätzlich abzulehnen. Aber nicht immer.

Regelmässig sickern aus der Verwaltung oder aus Firmen vertrauliche Informationen an Medienhäuser. Ein krasser Fall waren die sogenannten Corona-Leaks: Eine Reihe von Medien, vor allem Blick, Sonntagsblick, Tagesanzeiger und Sonntagszeitung, berichteten häufig detailliert über anstehende Entscheide im Bundesrat. Diese Lecks stellten nicht nur einen Verstoss gegen behördeninterne Richtlinien dar, sie verletzten mutmasslich auch das Amtsgeheimnis. Und sie missachteten die Standesregeln der Public Relations, wonach PR-Massnahmen transparent erfolgen müssen.

Beschädigtes Vertrauen
Die Vorgänge riefen die Geschäftsprüfungskommission GPK auf den Plan, die im November ihren rund 90-seitigen Bericht vorgestellt hat. Die Erkenntnisse daraus sind dürftig – nicht zuletzt wegen der «sehr lückenhaften Quellenlage» (Zitat GPK). Dennoch liefert der Bericht einige interessante Fakten: Die GPK analysierte zusammen mit der Parlamentsbibliothek die Berichterstattung ausgewählter Printmedien in einem begrenzten Zeitraum. Gemäss GPK enthielten 200 Zeitungsartikel Informationen, die sicher oder wahrscheinlich auf Indiskretionen zurückzuführen waren. Online-Artikel wurden offenbar nicht in die Analyse einbezogen. Ein wichtiges Fazit der GPK: Die Indiskretionen hätten dem Vertrauen im Bundesrat geschadet und sich zudem auf die Beschlüsse des Gremiums ausgewirkt.

Indiskretionen – nichts Ungewöhnliches
Der Fall ist wie erwähnt nicht singulär. Es kommt immer wieder vor, dass Journalisten mit vertraulichen Informationen versorgt werden. Aus Sicht der PR-Ethik – und natürlich ebenfalls aus Sicht der Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber – sind Indiskretionen grundsätzlich zu verurteilen. Aber nicht immer. Manchmal resultieren Indiskretionen aus dem Wunsch heraus, aus Gewissensgründen einen Missstand von öffentlichem Interesse ans Licht zu bringen (Whistleblowing). Ein Beispiel ist der Whistleblower Dr. Jeffrey Wigand. Der Biochemiker arbeitete in der Forschungsabteilung eines Tabakkonzerns. Trotz Verschwiegenheitsklausel, die er gegenüber seinem früheren Arbeitgeber unterzeichnet hatte, offenbarte Wigand dem CBS-Journalisten Lowell Bergman, dass die Tabakindustrie entgegen ihren Beteuerungen nicht nur wusste, dass Nikotin süchtig macht, sondern den Produkten auch noch bestimmte Stoffe beimengte, um die suchterzeugende Wirkung des Nikotins zu verstärken.

Drei Hauptkriterien zur Beurteilung
Wigand musste eine Güterabwägung vornehmen: Was ist der höhere Wert, Loyalität oder die Volksgesundheit? Wobei Loyalität hier eigentlich das falsche Wort ist. Beim Schweigen zu einem solchen Verbrechen handelt es sich vielmehr um eine komplizenhafte Omertà. Wie eine Indiskretion ethisch beurteilt werden muss, entscheidet sich – zusätzlich zur juristischen Beurteilung – meines Erachtens an drei Hauptkriterien:

  • Motiv: Missbraucht jemand durch die Indiskretion seine Macht oder verhindert er Machtmissbrauch? Handelt die Quelle aus niederen Beweggründen oder sind anerkennenswerte Motive im Spiel? Erhofft die Quelle für sich einen Gewinn oder riskiert sie bewusst persönliche Nachteile?
  • Dimension: Wie umfangreich ist die Indiskretion? Steckt dahinter eine Systematik? Auf welcher Hierarchiestufe ist der Absender angesiedelt?
  • Schadensbilanz: Wie gross ist der Schaden, der durch die Indiskretion entstanden ist? Oder andersherum: Wieviel Schaden konnte durch die Indiskretion abgewendet werden?

Foto: Beat Hühnli

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