Entspannte Grandezza

Verwöhnadresse mit Esprit: Das Hotel Castell in Zuoz steht für gepflegten Urlaub, familiäre Ambiance und ein Feuerwerk an zeitgenössischer Kunst.

Das Hotel fällt auf – schon von Weitem: Majestätisch wie ein Adlerhorst ruht es oberhalb von Zuoz auf einer Felsterrasse. Der anreisende Gast verlässt die Hauptstrasse, überquert den gletscherblauen Inn, nimmt die Kurven durchs Dorf hinauf, durchfährt einen Torbogen und steht nach der letzten Wende vor dem Eingang.

Vorbild Burgenästhetik
Ein nobles Gemäuer mit zinnenbestücktem Turm, umrahmt von Lärchen – das Castell verkörpert die epochale Frühzeit des Bergtourismus. Gebaut wurde es 1913 als Kurhaus, entworfen vom St. Moritzer Nicolaus Hartmann (1880-1956). Hartmann, der zuvor das Schloss Crap da Sass am Silvaplanersee gezeichnet hatte, war der dritte Spross einer Architektendynastie, die dem Kanton Graubünden ab 1850 ihren Stempel aufdrückte. Das Kurhaus in Zuoz, so lautete der Auftrag, sollte an ein mittelalterliches Kastell erinnern.

Empfang mit Augenzwinkern
In der Tat ist der Bau von wuchtiger Eleganz. Betritt man hier ein Refugium des Geldadels mit förmlicher Etikette? Etwaige Bedenken verfliegen schon bei der zwanglosen Begrüssung durch die Rezeptionistin. Hoteldirektor Martin Müller bestätigt den Eindruck: «Bei uns ist die Stimmung gepflegt, aber gelöst.» So will es das Konzept. Dass man hier unkompliziert miteinander umgeht, liegt auch am Selbstverständnis des Hauses als Schauplatz für Gegenwartskunst: Das Castell ist gleichsam die persönliche Kunstgalerie von Hotelbesitzer Ruedi Bechtler. In allen Räumen trifft man auf Fotos, Skulpturen, Gemälde und Installationen von Künstlerinnen und Künstlern wie Kerstin Brätsch, Angela Bulloch, Peter Fischli und David Weiss, Carsten Höller, Mickry 3 oder Ross Sinclair. Der Nonkonformismus zeitgenössischen Schaffens lockert die Stimmung. Die Pferdeskulptur am Eingang trägt Gummistiefel, nicht gerade das Statussymbol der Schickeria. Fotos gegenüber dem Cheminéeraum zeigen Roman Signers Aktion Kleines Ereignis von 1996. Damals brachte Signer auf dem Hotelrasen ausgediente Polstersessel zur Explosion. Und an einem der jährlichen Art Weekends legte sich die Performerin Chantal Michel unters Frühstücksbuffet. Gegenwartskunst durchbricht Normen, und sie imprägniert das Hotel, so scheint es, gegen jeden Standesdünkel.

Kunst zum Anfassen
«Das Castell positioniert sich mit zeitgenössischer Kunst wie kein anderes Hotel, das ich kenne», sagt Martin Müller. Es ist Kunst, die man sogar berühren kann, und zwar primär dort, wo Kunst und Architektur ineinanderfliessen, wo die Baukunst eins wird mit der Kunst am Bau. Ein Beispiel ist die Rote Bar von Gabrielle Hächler und Pipilotti Rist – eine impulsive Begegnungszone. Wer hier seinen Espresso Martini trinkt, kann dem schüttelnden und rührenden Barkeeper ein paar Berufsgeheimnisse entlocken. Gleich nebenan führt die Tür hinaus zu einem Kunstobjekt aus Holz, der Sonnenterrasse von Tadashi Kawamata; sie ist bei schönem Wetter ein Besuchermagnet. Und hinter dem Hotel steht der Skyspace von James Turrell: Der kleine Rundbau mit offenem Dach spielt bei Einbruch der Dämmerung mit Licht und Farbe, und er überrascht mit grandioser Akustik. Selbst ein durchschnittlicher Sopran klingt, als käme er vom Himmel.

Loyale Kunden
So wichtig Kunst im Castell ist – alleine mit Kunst füllt niemand ein Hotel. Darum investierte man etappenweise und grosszügig ins Kernangebot. 2004 wurden alle Zimmer umgebaut. Sie übersetzen die edle Schlichtheit des Gebäudes in eine moderne, gemütliche Designsprache. Zugleich mit den neuen Zimmern entstanden der Hamam, die Tiefgarage und eine neue Küche. Später wurden die historischen Aufenthaltsräume sanft renoviert, darunter die Stuckdecke im Jugendstilsaal. Die Mühe zahlt sich aus: Das Castell ist wieder im Hoch, ähnlich wie in der Glanzzeit nach dem Ersten Weltkrieg, als es Stammgäste wie etwa den deutschen Kronprinzen beherbergte, bevor der Betrieb wegen des Börsencrashs von 1929 lange Zeit schliessen musste. Der Anteil der Stammgäste ist auf 60 Prozent geklettert, 80 Prozent der Gäste kommen aus der Schweiz. Zunehmend entdecken auch Familien das Hotel. Die Gemeinde Zuoz trägt das Gütesiegel Family Destination des Schweizer Tourismusverbandes, und so räumt das Castell den Eltern und den kleinen Gästen gebührend Platz ein, zum Beispiel mit dem betreuten Kindertisch, mit Sport oder mit Trickfilmen im hauseigenen Studiokino.

Nahbare Gastgeber
Martin Müller und seine Frau Irene leiten das Castell seit Frühling 2015. Sie haben die kultivierte Hotellerie im Blut: Fast 15 Jahre lang bekleideten der Aargauer und die Bernerin führende Positionen im Hotel Waldhaus in Sils-Maria. Zuletzt leiteten sie das Parkhotel Bellevue in Adelboden. Was bedeutet der kürzliche Direktionswechsel für das Castell? Martin Müller denkt nicht daran, das Angebot umzukrempeln. «Wir nehmen den roten Faden auf und entwickeln ihn weiter.» Eine Kursänderung sei unnötig, das Konzept habe sich bewährt. Sehr wichtig findet Martin Müller die physische Präsenz des Gastgebers: «In der Ferienhotellerie sehen die Gäste gerne ein Gesicht.» Und so ist der Direktor überall anzutreffen, findet rasch ins Gespräch, räumt bisweilen sogar einen Tisch ab. Irene Müller hält die Abläufe hinter den Kulissen in Schwung, ist verantwortlich für das Personal und für das Wellnessangebot.

Natur und Reflexion
Fragt man, was Gäste ins Castell lockt, fallen die Antworten bunt aus: die Ambiance; die Qualität von Service und Kulinarik; das Wellnessangebot; die Aussicht; die Landschaft; der ruhige Standort bei gleichzeitiger Nähe zu St. Moritz; der direkte Zugang zum eigenen Skigebiet; das Dorfzentrum von Zuoz – es gilt als das schönste im Oberengadin – mit seinen Kirchen und Patrizierhäusern. Und eben die Kunst. Dank ihrer Omnipräsenz kann man im Castell mehr als nur ausspannen: Wer will, erfrischt hier den Geist, kommt mit Künstlern ins Gespräch, lässt das Schöne, Berührende, Schrille, Subversive der ausgestellten Objekte auf sich wirken. Oder kehrt gar heim mit der Lust, zwischen Terminkalender und Wäschekorb die eigene schöpferische Ader wiederzuentdecken.

Das Castell im Winter 2016/17

  • Saison: 9. Dezember bis 26. März
  • Preise: 230 bis 400 Franken pro Zimmer und Nacht inkl. Frühstück, Hamam, Fitnessraum, Kino; verschiedene Buchungspakete und Rabatte.
  • Ski: Das Hotel liegt direkt an den Zuozer Skipisten (1700 bis 2400 Meter). Höhere Pisten erreicht man mit dem Gratis-Hotelshuttle, der mehrmals täglich ins Gebiet von Corviglia fährt. Der Shuttle bedient auch das nächste Langlaufzentrum.
  • Skiabo: Für Hotelgäste kostet der Skipass 35 Franken pro Tag (Erwachsene), gültig für das ganze Oberengadin.
  • Familien: Familienzimmer, Kinderclub, Familien- und Kinderprogramm, hoteleigenes Natureisfeld, Schlittschuhmiete, Hamam for kids, Pizzabacken, Schlittelweg in Zuoz.
  • Anreise: Mit dem Auto über den fast wintersicheren Julierpass oder über den Vereina-Autoverlad zwischen Klosters und Susch. Wer mit der Bahn anreist, wird am Bahnhof Zuoz abgeholt.
  • Sportliche Top-Events in der Region: Alpine Ski-WM in St. Moritz (6.–19. Februar); Engadin Skimarathon (12. März).

Foto: Hotel Castell
hotelcastell.ch

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