Berner Zebrastreifen

Angestellte der Stadt Bern dürfen am Arbeitsplatz nicht mehr Fussgängerstreifen sagen. Das sei nicht geschlechtergerecht.

Die Empörungsmaschinerie ratterte auf Hochtouren, als die Stadt Bern Anfang Juni 2010 ihren Sprachleitfaden Geschlechtergerecht formulieren herausgab. Die Tageszeitung Der Bund schrieb ironisch: «Die rotgrüne Stadtregierung von Bern sorgt sich um den politisch korrekten Sprachgebrauch.» Und die Berner Zeitung staunte: «Was sich nach sprachlicher Umerziehung à la Nordkorea anhört, ist offensichtlich ernst gemeint». Die Berichte provozierten geharnischte Leserreaktionen, die den Sprachleitfaden mit Häme übergossen.

Die Zebras kommen
Attackiert wurde zum Beispiel die Weisung der Stadt an ihre Angestellten, man dürfe ab sofort nicht mehr Fussgängerstreifen sagen. Erlaubt sei nur noch Zebrastreifen. Was ist davon zu halten?

Der Zebrastreifen hat dem Fussgängerstreifen zwei Dinge voraus: Das Wort ist kürzer und einfacher. Gegen den Zebrastreifen sprechen jedoch vier Argumente:

  • Fussgängerstreifen ist aussagekräftiger als Zebrastreifen.
  • In Deutschland sind die Streifen weiss. Somit hat der Zebrastreifen dort eine gewisse Logik, auch wenn im Normalfall keine Zebras die Strasse queren. In der Schweiz hingegen sind die Streifen gelb.
  • Wer den Fussgängerstreifen abschafft, eliminiert damit auch einen Helvetismus – also ein Stück Kultur (Helvetismen sind in der Schweiz verwendete, hochsprachlich anerkannte Deutschvarianten).
  • Und schliesslich: Auf die Idee, eine Frau fühle sich durch den Fussgängerstreifen diskriminiert, muss man zuerst einmal kommen.

Vorschläge, die Sinn ergeben . . .
Ist der Sprachleitfaden der Stadt Bern eine Bieridee? Dies zu behaupten wäre unfair, denn der Leitfaden macht durchaus sinnvolle Vorschläge zum geschlechtsneutralen Formulieren. Beispiele:

  • Grundkurs oder Einstiegskurs statt Anfängerkurs. Das ist schon deshalb sinnvoll, weil der Anfänger nicht unbedingt positive Gefühle weckt.
  • Qualifikationsgespräch statt Mitarbeitergespräch. Das Qualifikationsgespräch umschreibt den Sinn des Treffens präziser. Und ist damit ehrlicher.
  • Lesefreundlich statt leserfreundlich. Das klingt schöner und spart zudem einen Buchstaben ein. 

. . . oder auch nicht
Ein Fragezeichen setzen muss man wieder, wenn die Kundenberatung zur umständlichen Kundschaftsberatung wird; oder das Lehrerzimmer zum Pausenzimmer – ist der Raum nicht mehr zum Arbeiten gedacht? Dürfen sich jetzt auch Schülerinnen (und Schüler) darin aufhalten?

Foto: Beat Hühnli

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